Inhaltsangabe
Rechthaberei: Jeder hat Recht. Und ich verrate Dir, warum. Wir hören ganz selten die Sätze: „Du hast absolut Recht“ oder „Du hast mich mit Deinem Argument wirklich überzeugt„. Viel häufiger sagen wir, er habe Unrecht. Sehr häufig denken wir, wir hätten die rationale, die moralische und die juristische Oberhand.
Ich möchte Dir zunächst verraten, woher es eigentlich kommt, dass jeder von uns glaubt, dass er Recht hat. Wie geht man mit Rechthaberei und rechthaberischen Menschen um? Das ist nicht so einfach und verlangt etwas Fingerspitzengefühl.
Rechthaberei: Warum denkt eigentlich jeder, dass er Recht hat?
Zwei unterschiedliche Sichtweisen: Arthur Schopenhauer hat ein schönes Buch mit dem Titel „Die Kunst, Recht zu behalten“ geschrieben und einen kleinen Abschnitt aus erklärt, warum wir häufig so rechthaberisch sind. Er schreibt:
Die angeborene Eitelkeit, die besonders hinsichtlich des Verstandes reizbar ist, will nicht wahrhaben, dass das, was wir zuerst aufgestellt haben, sich als falsch und das des Gegners als Recht ergebe. Aber zur angeborenen Eitelkeit geselle sich bei den meisten Geschwätzigkeit und angeborene Unredlichkeit. Sie reden, wie sie es gedacht haben und wenn sie auch hinterher merken, dass ihre Behauptung falsch ist und sie Unrecht haben, so soll es doch so scheinen, als wäre es umgekehrt.
Schopenhauer ist ein eher pessimistischer Philosoph und geht von der natürlichen Schlechtigkeit des menschlichen Geschlechts aus. Er sagt uns, das sei angeboren und wir können nichts dagegen machen. Wir müssen Recht haben und selbst wenn wir merken, dass wir Unrecht haben, versuchen wir bis zuletzt, dies zu verstecken und uns zumindest nach außen hin als die großen, korrekten, rechthaberischen und natürlich auch wahrhaftigen Menschen darzustellen.
Ich sehe das nicht ganz so melancholisch oder deterministisch wie Schopenhauer. Ich denke, das hat eine etwas andere Ursache. Meine Erklärung dafür, dass wir alle denken, dass wir Recht haben, liegt an unserem eigenen Denksystem.
Jeder von uns hat ein Denksystem, also ein System seiner Gedanken, ein System seiner Auffassungen. Man sagt auch so schön ein „Gedankengebäude“. In diesem Gedankengebäude sind ganz viele grundfeste Auffassungen. Das sind bestimmte Meinungen, Dogmen und Glaubenssätze und die sind intern meist stimmig. Der Mensch hat sein Gedankengebäude über Jahre aufgebaut und es immer weiter verfeinert. Es hält aber nicht immer dem Test nach außen stand.
Wir haben etwa zwei Menschen an einer überdachten Bushaltestelle. Es regnet. Einer von ihnen raucht, der andere ist Nichtraucher. Während beide auf den Bus warten, zündet der eine sich eine Zigarette an und denkt, er hätte das Recht zu rauchen und der andere könne ja weggehen, wenn es ihn stört. Der andere hält ihn für einen Egomanen, der mehr auf andere Rücksicht nehmen könnte.
Zweite Situation: Es gibt Männer, die auf den Straßen flanieren und versuchen, Frauen anzusprechen. Er sagt:
Hey, Du bist sympathisch. Kann ich mal Deine Telefonnummer haben?
Das ist aus Sicht des Mannes unglaublich rational, weil er nett fragt. Und wenn sie kein Interesse hat, kann sie einfach „Nein“ sagen. Die Frau wiederum hat kein großes Interesse, Männer kennenzulernen und wird sich fragen:
Der Mann spricht mich einfach auf der Straße an. Woher nimmt er sich das Recht? Was ist das für ein Blödmann?
Ein drittes Beispiel aus dem Business: Der ständig kontrollierende Chef. Aus Sicht des Mitarbeiters ist die währende Kontrolle unverständlich und ein Mangel an Vertrauen. Es läuft alles gut. Bisher gab es keine Beschwerden. Der Chef geht davon aus, dass der Mitarbeiter sich vielleicht freut, wenn er einfach einmal nachschaut, ihn unterstützt und versteht gar nicht, warum der Mitarbeiter manchmal schlecht gelaunt ist, wenn er ein paar verbessernde Vorschläge gibt.
Jeder hat Recht und weil wir denken, dass wir Recht haben, wollen wir natürlich andere von unseren tollen Ansichten überzeugen! Mit der Zeit wird die Rechthaberei schlimmer, weil das Gedankengebäude am Anfang unseres Lebens noch relativ flexibel ist. Das heißt, wenn wir etwas Neues lesen, dann passen wir unser Gedankensystem an. Es ist noch nicht so stabil, aber mit der Zeit bilden die Grundauffassungen das Fundament. Dieses Gedankengebäude ist immer fester miteinander verwoben und es wird immer schwieriger, neue Ansichten hineinzulassen. Und es wird auch immer schwieriger, anderen Menschen Recht zu geben. Jeder hat Recht in seinem Denksystem. Doch wie gehen wir damit um?
Wie kann man mit Rechthaberei umgehen?
Auf jeden Fall nicht den Menschen sagen, dass sie Unrecht haben! Das ist extrem verletzend. Du solltest einen Grundsatz der Kommunikation beachten:
Hart in der Sache, weich zur Person
Das heißt, immer nett und diplomatisch zur Person sein, niemals die Person oder die direkten Ansichten kritisieren, die der andere lieb gewonnen hat.
Hinweis: Möchtest Du mehr zu diesem Kommunikations-Tool erfahren, dann schaue Dir die Video-Lektion „Hart in der Sache, weich zur Person!“ aus dem Online-Kurs „Überzeuge im Gespräch! Die 20 besten Kommunikations-Tools“ an:
Du könntest höflich nachfragen und die Frage so stellen, dass sie eben nicht die Person und die Ansichten kritisiert, sondern dass sie einfach nur etwas in Frage stellt! So kann der andere sich überlegen, ob das nicht vielleicht auch stimmen könnte. Du zeigst auf, dass es auch andere Sichtweisen auf einen bestimmten Standpunkt geben kann.
Und dann schaust Du, wie der andere darauf reagiert. Zeigt er sich kritisch, kannst Du mit Argumenten, Beispielen und Statistiken arbeiten, die Deine Ansicht untermauern. Also nicht sofort aufgeben, wenn der andere nicht zustimmt, aber ihn auch nicht konfrontieren. Diese Argumente solltest Du Dir natürlich im Vorfeld überlegen.
Probieren geht über studieren!
Du hast sicher eine Dir wichtige Grundauffassung. Zum Beispiel die Ansicht, Kinder sind das höchste Glück auf Erden oder die Karriere geht vor. Es kann auch etwas Kulturelles sein. Höflichkeit ist ein sehr wichtiger Wert in unserer Gesellschaft. Wenn Du diese Grundüberzeugung gefunden hast, die Du in keinem Fall opfern würdest, dann schreibst Du fünf Gründe auf, die gegen Deine Überzeugung sprechen.
So merkst Du, dass es zu jeder Ansicht auch gute Gegenansichten gibt, die sich plausibel anhören. Ein kleiner Schritt in die Richtung, dass Du erkennst, dass andere Denkweisen durchaus ihre Berechtigung haben.
So habe ich das beim Debattieren auch gemacht. Im Nachhinein ist mir aufgefallen, dass ich dadurch viel mehr Toleranz und Verständnis für die Ansichten anderer Leute gewonnen habe. Viel Erfolg dabei!
Autor: Wladislaw Jachtchenko